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LARISSA ROSA LACKNER

Du mir auch

 

Jun 19 – Jul 2, 2021

Wenn wir uns verletzen, verletzen wir uns nur selten bei einem Unfall (einem plötzlichen Ereignis mit lautem Knall). Die meisten Verletzungen fügt uns der Alltag zu, langsam, fast unmerklich.

Die Serie Du mir auch von Larissa Rosa Lackner zeigt Szenen aus dem Leben einer Frau. Wir sehen sie sitzend oder liegend, im Bett oder am Fenster, mit Handy oder Tablet, zu zweit oder allein. Auf den ersten Blick wirkt alles leicht und schlicht; die Formen sind reduziert, die Farben leuchtend. Doch je länger wir die Bilder betrachten, desto schwerer werden sie. Etwas stimmt hier nicht, etwas ist nicht in Ordnung: Die gezeigten Szenen spielen sich ausnahmslos im Inneren eines Hauses ab, vor nackten Wänden und in toten Winkeln. Nur auf zwei Bildern deutet ein Fenster die Möglichkeit eines Außen an. Das Leben, dem wir hier zusehen, scheint ein Leben im Rückzug zu sein, ein verängstigtes, ein verwundetes Leben.

Während der Corona-Pandemie haben viele von uns ein neues Gespür für die Verletzbarkeit ihres Körpers und ihrer Seele entwickelt. Mit ihrem reduzierten, flächigen Stil und dem Fehlen jeglicher Gesichtszüge laden die Bilder ein, die eigenen Erfahrungen von Verletzbarkeit auf das Gezeigte zu projizieren: Wir finden uns wieder in der Frau, die halb knieend, halb liegend vor dem Bett zusammensinkt. Wir kennen das schmerzliche Gefühl der anwesenden Abwesenheit im Video-Call. Wir wissen um die schleichende Selbstentfremdung in wochenlanger Selbstisolation.

Du mir auch lässt sich jedoch auch in eine ganz andere, weiterführende Richtung deuten: Wenn wir an unser Zuhause denken, denken wir für gewöhnlich an einen Ort, der Ruhe und Sicherheit verspricht. Zuhause finden wir Orientierung, wenn wir uns in der Welt verlieren. Zuhause finden wir Schutz, wenn uns die Welt zu verletzen droht. Doch genau diese Vorstellung von Geborgenheit wird von Larissa Rosa Lackner unterlaufen. Denn das, was diese Frau zuhause findet, ist kein Schutzraum, sondern eher der Raum einer bloßgestellten Verletzlichkeit. Zuhause mag sie in Sicherheit sein vor der Welt, aber nicht in Sicherheit vor sich selbst. Als würden uns die Bilder sagen wollen: Zuhause ist da, wo es keinen Ort mehr gibt, an den man noch fliehen könnte.

Man kann den Titel der Serie deshalb auch als Antwort auf ein unausgesprochenes Bekenntnis verstehen: „Du fehlst mir“ – „Du mir auch“. Was in diesen Bildern fehlt ist die Welt der anderen, eine Welt, die eine Gefahr darstellt, weil sie uns verletzen kann und als verletzbar zeigt, aber die genauso Hoffnung ist, weil nur sie uns retten kann, vor den Verletzungen des Alltags – und vor uns selbst.

text: Clemens Espenlaub

text (wall): Anne Kulbatzki

photos: Nils Stelte