#11

JULIA EICHLER

Exit Flexible

 

Dec 15 – Jan 13, 2023

Als Rohbau wird ein Gebäude bezeichnet, dessen innere und äußere Verkleidung fehlen. Ein Rohbau in diesem Sinne ist nackte Architektur: ein Gebäude, das erst noch angezogen, erst noch hergerichtet werden muss. Das Wort lässt sich allerdings auch andersherum definieren. Wer schon einmal durch ein verlassenes Gebäude, durch leergeräumte Hallen, Treppenhäuser und Toilettenanlagen gelaufen ist, weiß: Rohbau ist auch das, was übrigbleibt. Rohbau ist, was sich nicht wegtragen lässt.

Julia Eichlers Interesse gilt dem Rohbau in diesem zweiten Sinn. Mit einem von ihr entwickelten Abformverfahren reproduziert sie Wände leerstehender Gebäude samt Textur, Farbe und Geschichte. In einem zweiten Schritt spannt sie die Abzüge auf Holzgestelle und überführt sie damit wieder in die Dreidimensionalität architektonischer Körper. Das Ergebnis ist also eine Täuschung: Was auf den ersten Blick schwer und massiv wirkt, ist in Wahrheit so leicht und dünnhäutig wie eine Piñata.

Das zentrale Objekt dieser raumgreifenden ist die Arbeit Rampe. An deren Vorderseite finden sich zwei Löcher, die sich nicht nur als Abformung von Steckdosen identifizieren lassen, sondern auch an die Augen einer Maske erinnern. Damit ist Rampe die einzige der hier gezeigten Arbeiten, die einen Blick „hinter die Kulissen“ erlaubt, die etwas über ihre wahres Wesen und ihr Gemachtsein verrät.

Die Arbeit Loch wirkt auf den ersten Blick wie eine Anspielung auf den Ausstellungstitel. Sie zeigt einen Exit Flexible, einen alternativen Ausgang, der Flexibilität erfordert, würde man ihn nutzen wollen. Zugleich scheint die Arbeit das Motiv des Gemachtseins wieder aufzugreifen, insofern sie als Hinweis auf den Entstehungsprozess von Rampe gelesen werden. Dass auch dieser Hinweis nur eine Täuschung sein kann, verrät die Arbeit Muster an der gegenüberliegenden Wand. Mit etwas räumlichem Vorstellungsvermögen lässt sich hier das Schnittmuster des Originals erkennen, eines Originals, von dem wir wissen, dass es in Wahrheit gar kein Original ist, sondern eher eine originelle Reproduktion: eine Reproduktion ohne Original.

 

Muster lässt sich jedoch auch als überdimensionierter Fluchtpfeil deuten. Die Arbeit verweist damit erneut auf das Motiv des Ausgangs, den Exit Flexible. Folgen wir der Pfeilrichtung, gelangen wir über die Treppe durch die Markierung hindurch tatsächlich auf die andere Seite des Ausstellungsraums und damit zur Schlappen Stele. Dabei hängen Treppe und Schlappe Stele jedoch merkwürdig dysfunktional in der Luft. Sie führen nirgendwohin und tragen auch nichts, als hätten sie vergessen, wofür sie geschaffen wurden.

In ein ganz Ähnliches Verwirrspiel treibt uns die Arbeit Ecke. Zwar hängt sie in einer Ecke und zeigt auch eine Ecke, und doch scheint sie etwas ganz anderes zu sein als das, was wir von einer Ecke erwarten. Es ist, als würde sie uns auffordern, einmal etwas anderes zu tun, als geradeaus zu denken, nur um uns dann, wenn wir es tun, hinters Licht zu führen. In der Welt, die Eichler schafft, ist es fast ein wenig wie in Alice’ Wunderland: Nichts ist, wie es scheint. Aber das Gegenteil ist auch nicht wahr.

text: Clemens Espenlaub

photos: Julia Eichler